Drei antike Bronzen in Buffalo
PhiliP Kiernan
Den meisten Klassischen Archäologen, Kunsthistorikern und selbst Einwohnern Buffalos ist
vermutlich nicht bekannt, dass es im Buffalo Museum of Science eine kleine Sammlung von
antiken Gegenständen und Kunstwerken gibt. Dazu gehören etwa 275 Bronzen aus der antiken
Welt im weitesten Sinn. Das Museum hat seinen Ursprung in der 1834 gegründeten Buffalo
Young Men’s Association und der im Jahr 1861 daraus hervorgegangenen Buffalo Society of
Natural Sciences. Im Jahr 1929 eröffnete die Society of Natural Sciences ein Museum, das
heute eine Sammlung von etwa 700.000 Gegenständen aus den Bereichen Anthropologie, Botanik, Entomologie, Pilzkunde, Paläontologie und Zoologie besitzt.1
Die Sammlung der ethnographischen oder anthropologischen Abteilung des Museums
besteht aus Artefakten aus verschiedenen Weltkulturen und Epochen sowie der klassischen
Welt.2 Die Artefakte sind Geschenke oder Käufe aus verschiedenen Quellen und wurden
größtenteils in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesammelt. Chauncy J. Hamlin (1881–
1963), ein reicher Einwohner Buffalos und eine wichtige Figur in der frühen amerikanischen
Museologie, war für das Wachstum der anthropologischen Sammlung verantwortlich. Hamlin war von 1923 bis 1929 Präsident der American Association of Museums und sowohl der
Gründer als auch der erste Präsident des International Council of Museums (1946 bis 1953).
In Buffalo war er von 1920 bis 1948 Präsident der Buffalo Society of Natural Sciences und
betreute als solcher das neue Museum und die Erweiterung seiner Sammlungen. Hamlin erwarb aggressiv Artefakte durch Händler und persönlich auf seinen Weltreisen.3 Zu seinen
wichtigsten Erwerbungen zählt eine Gruppe von 300 chinesischen Jadeartefakten aus dem
späten Neolithikum bis zur Han-Dynastie, die Hamlin während eines Chinabesuchs und
danach in den 1930ern kaufte.4
Der Bestand des Museums an griechischen, römischen und anderen klassischen Antiquitäten ist klein und fast alle gehören in den Bereich der Kleinkunst. Dies spiegelt die Tatsache
wider, dass größere Kunstobjekte aus der griechischen und römischen Welt damals als Kunst
und nicht als ethnologische Gegenstände betrachtet wurden. Deswegen gehörten die größeren Kunstobjekte in Buffalo in den Sammelbereich der 1890 gegründeten Albright-Knox Art
Gallery. Die beeindruckende Sammlung antiker Kunst der Albright-Knox, zu der u. a. die
berühmte Bronze-Artemis mit Hirsch gehört, wurde 2007 in einer sehr kontrovers diskutierten
Aktion des damaligen Direktors Louis Gracchos versteigert.5 Heute widmet sich die AlbrightKnox ausschließlich moderner und zeitgenössischer Kunst. Der Verkauf im Jahr 2007 hat dazu
geführt, dass die kleine Sammlung des Buffalo Museum of Science jetzt die größte öffentliche
Sammlung klassischer Antiquitäten und Kunst in Buffalo und dem westlichen Teil des Staats
New York ist.
Meine allererste Begegnung mit Reinhard Stupperich als wissenschaftlichem Betreuer war im Rahmen eines Seminars
zur antiken Bronzesammlung in Dresden im Jahr 2003. Die Seminarteilnehmer haben gelernt, wie wichtig die genaue
Beschreibung antiker Gegenstände ist und wie sie bestimmt werden können. Durch solche Aktivitäten, Seminare und
Exkursionen, und vor allem durch das Vorbild seiner eigenen Vielfältigkeit, hat uns Reinhard Stupperich beigebracht,
dass ein guter Klassischer Archäologe keine Epoche, kein Gebiet und keinen Gegenstand als irrelevant oder uninteressant betrachten kann. Leicht abgewandelt könnte das Zitat von Terrenz seine Lehrphilosophie zusammenfassen:
„antiquitatis nihil a me alienum puto“. In Dankbarkeit widme ich unserem lieben „Stuppi“ hier eine Votivgabe von
drei unveröffentlichten Bronzen.
1
Goodyear 1994; Leacock 2012; und kürzere: http://www.sciencebuff.org/site/aboutus (letzter Zugriff
02.06.2017).
2
Zur Geschichte der Anthropologische Abteilung s. Goodyear 1994, 132–147.
3
Goodyear 1994, 51–56.
4
Hartman 1975.
5
New York Times, 21.03.2007: „Despite Foes, Buffalo Museum Makes $18 Million in Auction“ (R. Kennedy)
http://www.nytimes.com/2007/03/21/arts/design/21albr.html (letzter Zugriff 02.06.2017).
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Allerdings muss man berücksichtigen, dass diese Gegenstände nicht als Kunstwerke erworben
wurden, sondern als Einblicke in die Entwicklung von Weltkulturen durch „primitive“ Kunst
sowie technische Innovationen gedacht waren. Dazu gehören bronzene Artefakte sowie Keramikgefäße, Öllampen, Terrakotten und Glasgefäße aus der griechischen und römischen Welt.
1975 erhielt das Museum eine Sammlung von 52 griechischen Vasen aus dem Nachlass des
in Buffalo lebenden griechisch-amerikanischen Anwalts George E. Philies (1886–1971). Die
Vasen stammen aus der mykenischen bis hellenistischen Zeit. Diese etwas spätere Erwerbung
scheint nicht zur früheren Sammlungsstrategie zu passen.6
Die anthropologische Sammlung des Buffalo Museum of Science ist kaum publiziert. Eine
geringe Anzahl der Antiquitäten, u. a. die ersten zwei hier vorgestellten Bronzen, waren als
Abbildungen in einem 1941 veröffentlichten Buch „By Their Works“ zu sehen, das von Hamilton Phelps Clawson (1892–1975), dem Kurator der anthropologischen Abteilung von 1938
bis 1943, geschrieben wurde. Clawson hatte an der Yale Universität studiert, und war in den
20er Jahren bei den Ausgrabungen der Harvard Universität sowie dem Boston Museum of
Fine Arts in Ägypten und dem Sudan anwesend.7 Seine Veröffentlichung im Jahr 1941 wurde
von der lokalen Firma Roycroft Shops in East Aurora gedruckt8 und war als Begleitung zur
Dauerausstellung in der „Hall of Primitive Art“ gedacht.9 Das Buch konzentriert sich aber auf
die Kulturen und nicht die Gegenstände im Museum. Letztere erscheinen als Abbildungen
völlig kommentarlos im Text.
Viele der Bronzen im Museum sind ägyptisch (etwa 45 Stück, fast alle aus der Spätzeit
bis zur griechisch-römischen Zeit) oder aus Griechenland und Italien (etwa 40 Stück). Die
Mehrzahl davon sind etruskisch und frühgriechisch, möglicherweise weil diese Epochen und
Gebiete als wichtig für die Entwicklung von späteren Zivilisationen betrachtet wurden. Eine
Auswahl an bronze- und eisenzeitlichen Werkzeugen, Schmuck und Waffen (etwa 65 Stück),
die angeblich aus Europa und insbesondere aus Skandinavien stammen, war eindeutig mit dem
Zweck erworben worden, prähistorische Typologie zu zeigen. Wie in vielen anderen amerikanischen Museen gibt es Bronzen aus Luristan (etwa 64 Stück), dazu noch einige Bronzen
(etwa 22 Stück) aus dem Bronze- und eisenzeitlichen Vorderasien von Syrien bis Mesopotamien. Schließlich gibt es etwa 39 Bronzen, überwiegend Schmuckstücke aus dem europäischen
Frühmittelalter. Die genannten Zahlen sind der Museumsdatenbank entnommen und können
nur als provisorisch gelten, da die Eintragungen fehlerhaft sein können. Die gesamte Bronzesammlung ist mit qualitativ hochwertigen Nachbildungen ergänzt, die unmarkiert zusammen
mit den originalen Artefakten gelagert sind.
Eine komplette Untersuchung und Veröffentlichung der Sammlung wäre durchaus wünschenswert, um diese vergessenen Bronzen dem Publikum und der Wissenschaft bekannt zu
machen. Die drei hier vorgestellten Bronzen können als repräsentativ für die Bronzen im Buffalo Museum of Science betrachtet werden.
1. Eine Pferdefigur (Inv. C 12846/3834), angeblich aus Olympia, Griechenland. Geometrische Epoche, spätes 8. Jh. v. Chr. Das Pferd ist mit Klebstoff auf einer rechteckigen modernen
Holzbasis befestigt. Es hat eine glatte dunkelgrüne Patina mit roten, braunen und grünen
Flecken. L 8 cm, H 7 cm, Gw 125,8 g (mit Basis); Abb. 1.
Laut Karteikarte des Museums vom Februar 1938 wurde das Pferd von der Brummer Gallery
in New York gekauft. Die Akten der Brummer Gallery sind teilweise heute noch verfügbar
und enthalten eine Registerkarte für das Pferd.10 Auf der Karte ist ein Verkauf an Chauncey
6
7
8
9
10
Ein Katalog der griechischen Vasen wurde in Zusammenhang mit einer Ausstellung im Jahr 2005 veröffentlicht
(Watrous 2005).
Zu Hamilton Phelps Clawson s. die Dauerwebseite der 2011er Ausstellung „Travelers and Cosmpolitans […]
The Tourist is the Other Fellow“ von der Buffalo Central Library: http://thetourististheotherfellow.blogspot.
com/p/h-phelps-clawson.html (letzter Zugriff 02.06.2017).
Die Druckerei Roycroft Shops war offenbar ein Nachfolger der Roycroft Press, die von Elbert Hubbard 1895
gegründet und im Jahr 1938 eingestellt wurde. Die Druckerei und die Kommune von Handwerkern in East
Aurora waren als die „Roycrofters“ bekannt und bilden ein wichtiges Kapitel in der Geschichte amerikanischen
Kunsthandwerks.
Die Hall of Primitive Art wurde später in den „Corridor of Time“ umgewandelt (Goodyear 1994, 137–138).
Brummer Gallery Archive Karte X814.
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Abb. 1 Votivpferd, angeblich aus Olympia. Späte geometrische Epoche (740–700 v. Chr.), L 8 cm
Hamlin am 28. Januar 1938 vermerkt. Sie enthält auch ein Schwarz-Weiß-Foto des Pferdes
ohne eine Basis. Das Foto im Buch von Clawson zeigt die heutige Basis.11 Die Brummer Karte
beschreibt das Pferd als „from Olympia“ und als Teil einer Sendung des griechischen Händlers
Zoumpoulakis, die bei der Brummer Gallery am 27. Oktober 1934 eingegangen ist.
Beschreibung
Das Pferd ist vollgegossen und höchst schematisch modelliert. Es hat einen röhrenförmigen
Körper mit zylindrischen Beinen und einen langgezogenen Kopf. Das rechte Bein ist leicht
gebogen und der lange Schweif hängt parallel zu den hinteren Beinen. Das Pferd hat große
kreisrunde hervorstehende Augen und kurze aufrechte Ohren. Die Unterseite ist nur grob modelliert, die Darstellung des männlichen Geschlechtsteils weist das Tier als einen Hengst aus.
Kommentar
Die einfache Zusammensetzung des Pferds in Buffalo ist absolut typisch für die geometrische
Bronzekunst. Wie Zimmermann schreibt: „Par l’association ou l’opposition de formes géométriques élémentaires, les artistes recherchent un style apparemment simple et surtout efficace,
donc apte à exprimer une vision idéale du cheval.“12 Es ist keine realistische Darstellung eines
Pferds, sondern eine schematische und idealisierte Abbildung.
Das Pferd gilt als ein wichtiges Statussymbol der griechischen Aristokraten im „dunklen Zeitalter“ Griechenlands und taucht regelmäßig als Thema in der Vasenmalerei sowie als
Terrakotte und Bronze auf. Bronzepferde wie das in Buffalo wurden häufig in griechischen
Heiligtümern aus dem 9. bis späten 8. Jh. v. Chr. gefunden, insbesondere in den großen panhellenischen Heiligtümern wie Delphi, Delos, Dodona und natürlich Olympia, von wo das
Beispiel aus Buffalo angeblich stammt. Diese Statuetten dienten als Votivgaben und waren auf
Altären und Bänken ausgestellt oder hingen an Bäumen.13
Das Buffaloer Pferd gehört zu einer Gruppe von Statuetten, die Heilmeyer als Produkt
einer Lakedämonischen Werkstatt in Olympia betrachtet und Zimmermann als die sogenannte
„Giamalakis-Gruppe“ einordnet. Diese letzte Gruppe ist nach einer Reihe von Bronzen benannt, die 1962 dem Museum Heraklion geschenkt wurden und angeblich auf der LassithiEbene auf Kreta gefunden wurden. Die beiden Experten datieren diese Bronzen in die 730er
Jahre v. Chr. 14
11
12
13
14
Clawson 1941, 74.
Zimmermann 1989, 4.
Rolley 1986, 67–68.
Zimmermann 1989, 299–303 Nr. GIA 1–82; Heilmeyer 1979, 130–134 Nr. 539–607, insbesondere Nr. 560–564.
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Ausgewählte Vergleichstücke
• Olympia (B 3445). Gefunden 1956 in der Nähe der Phideaswerkstatt, Gebäude C.
L 5,6 cm. Heilmeyer 1979, 242, Nr. 560, Abb. 73.
• Olympia (B 1658). Gefunden 1940 an der Südwand des Stadions. L 7,6 cm. Heilmeyer
1979, 242, Nr. 561, Taf. 73.
• Olympia (B 19). Gefunden 1936 im Fundamentgraben des Schatzhauses VI. L 6,2 cm
Heilmeyer 1979, 242, Nr. 563, Taf. 73.
• Olympia (B 881). Gefunden 1938 in der Nordwand des Stadions. L 8,7 cm. Heilmeyer
1979, 242, Nr. 564, Taf. 73.
• Olympia, (B 9400). Gefunden 1975 in der Nähe der Terrasse der Schatzhäuser. Zimmermann 1989, 301, Nr. GIA 43b, Taf. 70; Mallwitz 1981, 47, Abb. 33 und 50.
• Ex Leo Mildenberg Sammlung, L 5,9 cm. Zimmermann 1989, 302, Nr. GIA 47, Taf. 71;
Kozloff 1981, 88–89, Nr. 71b.
• Heraklion Archaeological Museum (Inv. Nr. 408), L 7,5 cm. Angeblich aus Lassithi. Zimmermann 1989, 302 Nr. 55, Taf. 73.
Abb. 2 Eine etruskische Kore, spätarchäisch (520–450 v. Chr.) H 10,3 cm
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2. Eine etruskische Kore (Inv. Nr. C 12888 / 3882), Umbrien oder Poebene, spätarchaische
Zeit (520–450 v. Chr.). H 10,3 cm (ohne Basis), T 4 mm (Körper), 11 mm (Kopf), Gw 159 g
(mit Basis). Die Kore ist mit einem (wohl antiken) Stift und Klebstoff unterhalb ihrer Füße auf
einer modernen zylindrischen roten Granitbasis (H 3 cm) fixiert. Sie hat eine glatte braune
Patina; Abb. 2.
Gekauft von der Brummer Gallery im März 1938. Leider gibt es keine verfügbaren Akten über
die Statuette im Brummerarchiv. Abgebildet von Clawson 1941.15
Beschreibung
Die Statuette ist ein Vollguss mit umfangreichen
kaltgearbeiteten Details. Sie steht mit geschlossenen Beinen und zieht mit ihrer linken Hand
ihr Gewand auf Hüftniveau von ihrem Körper
weg. Der rechte Arm ist am Ellbogen abgebrochen. Insgesamt ist der Körper sehr flach und
hat nur eine kleine Erhebung, um die Brüste
darzustellen. Die Rückseite ist kaum bearbeitet
und es sind grobe Feilspuren sichtbar.
Die Figur trägt einen Chiton ohne Gürtel
und einen zylindrischen Hut. Das gestreckte
Gesicht hat dädalische Gesichtszüge: wulstige Augen, große Ohren, ein vorspringendes
Kinn und ein leichtes, archaisches Lächeln. Die
Haare sind unter dem Hut versteckt, aber eine
Zickzacklinie um die Stirn herum könnte den
Haaransatz andeuten. Die dreieckige Modellierung des hinteren Teils des Halses erweckt den
Eindruck, dass lange Haare aus dem Hut hinter
die Ohren fallen.
Die Statuette ist von Kopf bis Fuß mit
eingravierten Verzierungen und Einzelheiten
dekoriert. Am auffallendsten sind die Details
auf dem Chiton. Zwei eingravierte Linien am
oberen Teil des Gewands bilden einen V-förmigen Rand unterhalb des Halses der Frau. Der
Rand besteht aus einer Zickzacklinie mit kleinen Punkte in den Dreiecken des Zickzacks.
Unterhalb des Randes und über den Brüsten
sind sieben Kreise eingraviert, die vielleicht
einen Halsschmuck statt einer Verzierung des
Gewands andeuten. Unter den Hüften zeigen
fünf gewölbte Linien, wie der Stoff über den
Beinen und der Taille gewickelt ist; sie bilden
gleichzeitig vier Bänder auf dem Chiton. Innerhalb dieser Bänder sind zwei oder drei Kreuze
in Kreisen von Punkten eingraviert. Sie dürften
das Muster des Chitons andeuten.
Abb. 3 Eine ähnliche etruskische Kore im British
Museum, Ex Sammlung William Greenwell, H 7,1 cm
Kommentar
Wie die meisten frühetruskischen und frühgriechischen Bronzen wurden solche Korai meistens in Heiligtümern und Deponierungen von Votivmaterialien gefunden. Der konische Hut
wie an der Kore von Buffalo war eine Standardbekleidung etruskischer Frauen der mittel- bis
spätarchaischen Zeit.16
15
16
Clawson 1941, 78.
Richardson 1983, 243.
18
PhiliP Kiernan
Diese Statuette gehört zu einer ziemlich großen Gruppe ähnlicher etruskischer Korai, die ihren
Chiton mit ihrer linken Hand raffen und eine Votivgabe in ihrer rechten Hand halten. Ein sehr
ähnliches, ebenfalls unveröffentlichtes Exemplar ist im British Museum zu finden und stammt
aus der Sammlung des Archäologen William Greenwell (1820–1918). Jene hat umfangreiche,
aber etwas einfachere Kaltarbeit am Chiton als die Kore in Buffalo (Abb. 3). Flache Körper
und viele Kaltarbeiten sind für diese Korai typisch. Colonna hat sie in seine „Gruppo Vöcklabruck“ eingeordnet. Benannt nach der österreichischen Stadt, in der ein Beispiel gefunden
wurde, schlägt Colonna zur Herkunft dieser Korai Umbrien als Arbeitshypothese vor.17 Auch
Richardson und Miari haben diese Korai als provinzielle Arbeit erkannt und Umbrien, die Poebene und Nordetrurien als mögliche Herstellungsorte benannt. Einige Beispiele sind bereits
nördlich der Alpen gefunden worden (Abb. 3).18
Trotz der groben Gesichter und drahtigen Glieder, die Richardson an früharchaische
griechische und etruskische Bronzen erinnert, ist eine spätere archaische Datierung (520–
450 v. Chr.) durch Fundkontexte und Körperhaltung gesichert. Die Geste der linken Hand am
Chiton ist von lebensgroßen marmornen Korai aus Griechenland wie der Antenor-Kore und
bronzenen Spiegelgriffen inspiriert, die ab dem späten 6. Jh. v. Chr. zu finden sind.19
Ausgewählte Vergleichstücke
• Villa Giulia, Rom (Inv. Nr. 24508). H 7 cm. Richardson 1983, 315, Nr. 25, Abb. 748–749.
• Paris (Bibliothèque Nationale, Inv. Nr. 219). H 8,4 cm. Richardson 1983, 316, Nr. 41,
Abb. 750.
• Como (Civico Museo Archeologico Giovio di Como, Inv. Nr. D1353, 1367, 1345, 1358,
und ohne Nr.). Alle aus der Sammlung Garavaglio, H 8,6 cm, 6,7 cm, 7,5 cm, 4,73 cm
(gebrochen) und ca. 6 cm (gebrochen). Bolla – Tabone 1996, 39–43, Nr. A14–A18.
• London (British Museum, Inv. Nr. 1935,0823.63). Ex Sammlung William Greenwell
(1820–1918), H 7,1 cm. Unveröffentlicht (Abb. 3).
• Museo Mambrini (Galatea Forlì-Cesena). Gefunden im Valle del Bidente, Emillia-Romagna, Italien, H 7,5 cm. Miari 2000, 275–276, Taf. 19.
3. Römische Klappdreifuß-Aufsatzbüste eines jungen Bacchus (Inv. Nr. C 24004 / 1151),
2.–3. Jh. n. Chr. H 9,6 cm, B 7,4 cm, T 2,8–3,2 cm, Gw 353,5 g. Dunkle, braune glatte Patina.
Geschenk von George J. Ciancio, 21. Oktober 1981; Abb. 4.
Beschreibung
Die Büste ist hohl gegossen mit relativ wenigen nachgearbeiteten Details. Sie steigt aus einem
sehr schlichten Kelch auf, der am unteren Ende von einer rechteckigen Basis mit zwei parallelen Leisten beendet wird. Der unterste Teil der Basis ist etwas unregelmäßig und weitet sich
leicht nach außen.
Die Büste stellt einen dicklichen Knaben dar. Er trägt einen Chiton über seiner linken
Schulter, seine rechte Brust ist unbedeckt. Das Gewand hat vier schräge Falten, die äußerste
davon ist an seiner linken Seite mit einer Reihe von kurzen Linien verziert. Der Kopf dreht
sich leicht nach rechts und das aufgedunsene Gesicht hat eine neutrale Miene. Obwohl sie
stark abgenutzt sind, wurden die Augen mit Pupillen scheinbar nach dem Guss leicht eingraviert. Zwei Bänder laufen um die Stirn und sechs aufrechte dreieckige Blätter erheben sich aus
den Haaren, um einen Blattkranz darzustellen. Die Haare und Blätter sind mit kurzen eingravierten Linien betont. Die Haare sind in einem Knoten am Hinterkopf gebunden.
Der Rücken und der untere Teil der Bronze, insbesondere die Basis, wirken unfertig, auf Details wurde nicht geachtet. Das Gewand hört einfach an der Schulter auf. Feilspuren sind am Rücken überall sichtbar und in der Mitte des Rückens ist ein ungleichförmiges Loch (Dm ca. 1 cm).
17
18
19
Colonna 1970, 88–90 Nr. 212–223. Der Statuettentypus ist nach einem in Vöcklabruck (Österreich) gefundenen
Beispiel benannt (Colonna 1970, Nr. 217 = Fleischer 1967, Nr. 227, Taf. 95).
Richardson 1983, 308–316, Series C, Group 3A („Perugia“); Miari 2000, 274–275. Haynes 1985, 62. 214–215
betrachtet solche Kaltarbeit und flache Formen auch als typisch für Umbrien und Norditalien.
Fuchs 1969, 167–172.
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19
Abb. 4 Eine römische KlappdreifußAufsatzbüste eines jungen Bacchus,
2. bis 3. Jh. n. Chr., H 9,6 cm
Die Oberfläche rund um dieses Loch ist etwas höher als an der restlichen Figur. In einem etwas
dunkleren fast quadratischen Fleck um das Loch herum sind gröbere Feilspuren zu erkennen.
Die Unterseite der Büste hat eine trapezförmige Öffnung. Im Rand dieser Öffnung sind
zwei kleine eingravierte Linien. Im Inneren der Büste ist ein Bleiklumpen sichtbar.
Kommentar
Es kann angenommen werden, dass die Büste eine Aufsatzbüste auf dem Bein eines römischen
Klappdreifußes war (Abb. 5).20 Jedes Bein eines Klappdreifußes endete in solchen Aufsatzbüs20
Klappdreifüße sind von Klatt 1995 bearbeitet. Zu diesem Stück s. Jenkins – Sloan 1996, 110–111, Abb. 3; es
befindet sich ohne Abbildung oder Beschreibung auch in Klatt 1995, 487, Nr. D52. Für weitere komplette Exemplare mit vergleichbaren Aufsatzbüsten s. auch Stefanelli 1990, 145–147, Abb. 93–100, Nr. 15–17. Diese kom-
20
PhiliP Kiernan
ten, die rechteckige Haken hielten, um
eine Bronzeschüssel oder Tischplatte
tragen zu können (Abb. 5).
Obwohl die Ikonographie etwas
außergewöhnlich ist (s. unten), stellt
die Büste wahrscheinlich einen jungen Bacchus dar, die weitaus häufigste
Gottheit an römischen Klappdreifüßen.
Das gilt gerade etwa für Dreifüße, die
in Gallien und Germanien im 2. und
3. Jh. n. Chr. hergestellt wurden.21 Die
Buffaloer Aufsatzbüste wirft allerdings
einige ikonographische sowie funktionelle Fragen auf.
Ikonographie
Obwohl der jugendliche Bacchus sehr
häufig auf Aufsatzbüsten erscheint, unterscheidet sich das Beispiel aus Buffalo von anderen Darstellungen des
Gottes in mehreren Aspekten. Erstens
trägt Bacchus normalerweise die nebris, ein Rehpelzgewand, das meistens
zerlumpt ist und Anzeichen seiner behaarten Textur aufweist. Die Buffaloer
Büste trägt ein normales Stoffgewand.
Zweitens wird bei den meisten Aufsatzbüsten das Gesicht von Bacchus von
seinen Haaren umrahmt, wobei zwei
Strähnen auf seine Schultern fallen.
Bei der Büste in Buffalo sind die Haare
nicht länger als die Ohren und die zwei
Strähnen fehlen. Drittens hat Bacchus
oft eine große Blume in der Mitte seines Kranzes (wie in Abb. 5 und 6), die
hier nicht vorhanden ist. Dennoch kann Abb. 5 Vollständiger römischer Klappdreifuß mit Bacchusaufsatzbüsten im British Museum. Ex Sammlung Sir William Hadie Figur eindeutig nicht als Mänade, milton
(1730–1803), angeblich in der Vesuvregion gefunden.
Satyr oder eine andere bacchische Fi- 1 Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr. H 82 cm, Dm 43 cm (Schüssel)
gur bestimmt werden.
Solche Variationen sind relativ häufig bei anderen Dreifußaufsatzbüsten, Bronzestatuetten
und Appliken von Bacchus. Ein Dreifußaufsatz aus Augsburg stellt die nebris mit drei regelmäßigen Falten dar.22 Eine Reihe Bronzestatuetten von Bacchus, stehend und seine rechte Hand
über seinen Kopf haltend, tragen ein ähnliches Gewand mit vier Falten wie beispielsweise eine
Applike aus Leiden. Auf der Leidener Applike fehlen ebenfalls die Strähnen.23 Vergleichbar
aufrechte Blätterkränze und Haare ohne die zwei Strähnen sind auch auf anderen Bronzestatuetten zu sehen.24 Eine Bacchus-Aufsatzbüste aus Augsburg hat ähnlich kurze Haare, eine aus
21
22
23
24
pletten Beispiele befinden sich in Neapel (Museo Nazionale, Inv. Nr. 73951), Rom (Antiquarium Communale,
Inv. Nr. 2178) und Turin (Museo Civico).
Klatt 1995, 413.
Klatt 1995, 508, Nr. B15, Abb. 198–199.
Diese Statuetten, die einen Gestus von Apollon in die Ikonographie von Bacchus bringen, werden von ManfriniAragno 1987, 85–86, Nr. 1–8, Abb. 111–115 diskutiert. Leiden: Rijksmuseum van Oudheden, (Manfrini-Aragno
1987, 141, Nr. 3, Abb. 294). Eine vergleichbare Applike, allerdings von einem Satyr, befindet sich in Avenches:
Musée Romain, Avenches, Inv. 390 / 6219 (Leibundgut 1976, 76, Nr. 72, Taf. 52).
z. B. Allard Pierson Museum (Inv. Nr. 1381, Manfrini-Aragno 1987, 69, Nr. 14, Abb. 34) und Statuetten in der
Walters Art Gallery (Inv. Nr. 541034), aus Zagazig (Manfrini-Aragno 1987, 59, Nr. 8, Abb. 31) und im National
Museum, Sofia (Inv. Nr. 2048), aus Borislav (Manfrini-Aragno 1987, 59, Nr. 11, Abb. 34) und im Kunsthandel
in 1975 (Manfrini-Aragno 1987, 59, Nr. 10, Abb. 32).
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21
Abb. 6 Eine vergleichbare Dreifuß-Aufsatzbüste in Gestalt eines Bacchus, glockenförmiger Sockel
und rechteckige Haken, ex Charles Townley (1737–1805) Sammlung, H 10,7 cm
Köln hat einen ähnlich aufrechten Blätterkranz und Bänder um die Stirn. Bei den Kränzen von
beiden fehlt die zentrale Blume.25
Funktion
Zwei wichtige Punkte zur Funktion fallen bei der Dreifuß-Aufsatzbüste aus Buffalo auf. Erstens fehlt der übliche glockenförmige Sockel (vgl. Abb. 6). Zweitens fehlt der notwendige
Haken an der Rückseite, um eine Schale oder einen Tisch zu befestigen (vgl. Abb. 5 und 6).
Die zwei parallelen Leisten am untersten Teil des Kelchs waren möglicherweise die obersten
Teile des Sockels, so dass sich die Form deswegen leicht nach außen hin weitet. Scheinbar
wurde der Sockel hier abgeschnitten, obwohl keine Feilspuren an der Unterseite sichtbar sind.
Es ist möglich, dass der Dreifuß und die Aufsatzbüste beschädigt waren und durch die Entfernung des Sockels repariert wurden. Eine Aufsatzbüste aus dem römischen Gutshof in Munzach
(Schweiz) scheint genau an dieser Stelle gebrochen zu sein.26 Bei einer anderen Aufsatzbüste
in Paris wurden in nachantiker Zeit der Sockel und der Haken entfernt, vermutlich um sie als
Kunstwerk zu verfeinern.27 Eine weitere Aufsatzbüste aus Tunesien hat vier parallele Leisten
statt eines glockenförmigen Sockels, sodass das Beispiel aus Buffalo einfach eine Variante des
normalen glockenförmigen Sockels sein könnte.28
25
26
27
28
Klatt 1995, 535, Nr. B116, Abb. 237–239 und 522, Nr. B75, Abb. 215.
Kaufmann-Heinimann 1977, 122, Nr. 190b, Taf. 124 = Klatt 1995, 529, Nr. 101. Eine andere identische Büste
(Kaufmann-Heinimann 1977, 121, Nr. 190a = Klatt 1995, 529, Nr. B100) ist intakt und hat den typischen glockenförmigen Sockel. Beide befinden sich im Kantonsmuseum Baselland Liestal (Inv. Nr. A 5304-5).
Klatt 1995, 533, Nr. B114, Abb. 234–236.
Klatt 1995, 520, Nr. B77, Abb. 216–218.
22
PhiliP Kiernan
Auffallender ist, dass der Haken an der Rückseite der Buffaloer Aufsatzbüste fehlt. Dieses
bronzene Element muss irgendwann abgefeilt worden sein, worauf die Feilspuren hindeuten.
Der leicht quadratische Fleck um das Loch könnte von einem Haken stammen. Das Loch
könnte daher rühren, dass dort der Haken abgebrochen ist oder dass später ein Bronzestift zur
Reparatur eingesetzt worden ist.
Es ist auch möglich, dass das Stück zu einem anderen Zweck modifiziert wurde. Eine
Aufsatzbüste aus Ägypten, heute im Louvre, wurde in eine Applike umgearbeitet. Ein anderes
Exemplar in Bonn wurde in ein Laufgewicht umgestaltet, indem eine Öse in den Kopf eingesetzt wurde.29 Bei der Buffaloer Aufsatzbüste muss in einer letzten Modifikation der Rest des
Hakens so abgefeilt worden sein, dass er auf gleicher Höhe wie der Rücken endet. Die Entfernung von Haken war im 18. und 19. Jahrhundert eine relativ häufige ästhetische Modifizierung
von Dreifuß-Aufsatzbüsten.30
Selbstverständlich sollte die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Buffaloer
Aufsatzbüste eine Fälschung oder ein Teil eines frühmodernen Möbelstücks ist. Im späten
18. und 19. Jahrhundert wurden Antiquitäten aus den Vesuvstädten häufig als Vorlagen für
moderne Möbel und Ornamente benutzt.31 Bei zwei Fälschungen, heute in Rouen und Wien,
fehlen wie hier die glockenförmigen Sockel, und beide besitzen rechteckige Basen wie das
Beispiel in Buffalo.32 Insgesamt aber gibt es wenig Grund, die Echtheit der Buffaloer Aufsatzbüste anzuzweifeln. Sowohl der innere Bleiklumpen und der abgefeilte Haken als auch die
Feilspuren am Rücken sprechen eher für eine komplizierte Nutzungsbiographie, wie sie bei
anderen antiken Bronzen zu finden ist.
Ausgewählte Vergleichstücke
• Dreifuß Aufsatzbüste im Allgemeinen s. Klatt 1995, und für Aufsatzbüste mit Bacchus s.
Manfrini-Aragno 1987, Nr. 177–211.
• Augsburg (Römisches Museum, Inv. Nr. 1986,864). In Augsburg gefunden. Bacchusknabe mit sehr vergleichbarem Kranz und nebris. H 6,1 cm. Klatt 1995, 508, Nr. B15, Abb.
198–199.
• Köln (Römisch-Germanisches Museum, Praetorium, Inv. Nr. 28,1). In Köln gefunden.
Ähnlicher Kranz, schematischer Kelch und Bänder um die Stirn. H 7,9 cm. Klatt 1995,
522, Nr. B75, Abb. 215.
• Paris (Cabinet des Médailles, Inv. Nr. Br 486 und 487). Ähnlicher kurzer Kelch, aber mit
drei Blättern. 2. bis 3. Jh. n. Chr., H 10,4 und 10,9 cm. Klatt 1995, 530–531, Nr. B108-9,
Abb. 225–226.
• Ex Sammlung Fouquet. Ähnliche niedrige Sockel mit zwei Leisten. H 6,9 cm. Klatt 1995,
504, Nr. B1 = Manfrini-Aragno 1987, 113, Nr. 1, fig. 210.
• Budapest (Magyar Nemzeti Múzeum, Inv. Nr. 56.5.20.) Aufsatzbüste von Merkur, aber
der Sockel ist vergleichbar unverziert. H 8,1 cm. Klatt 1995, 514, Nr. B39, Abb. 207–208.
Zusammenfassung
Diese drei Bronzen sind Beispiele aus der Sammlung des Buffalo Museum of Science, die der
Autor umfassender zu untersuchen und publizieren hofft. Die ersten zwei hier vorgestellten
Bronzen spiegeln das Interesse an „primitiver“ Kunst und Kulturentwicklung aus der Zeit
von Chauncey Hamlin wider. Die dritte ist, wie die griechischen Vasen von George E. Philies,
eher ein Sonderfall. Da sie nun genauer eingeordnet und zugänglich gemacht wurden, können
alle drei unbekannten Stücke etwas zu ihren breiteren Typologien sowie zum Studium antiker
Kunst und Toreutik beitragen. Lohn und Probleme bei der Arbeit mit solchen Bronzen sind
dem Geehrten dieser Festschrift gut bekannt.33
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Musée du Louvre, Inv. Br 2587 = Klatt 1995, 535, Nr. B116, Abb. 237–238; Klatt 1995, 513, Nr. B33. Rheinisches Landesmuseum Bonn Inv. 384.
z. B. British Museum Inv. Nr. 1814,0704.934 (1394) und 1814.0704.770 (1414) = Klatt 1995, 525 Nr. B83.
Beide aus der Townley Sammlung vor 1805 erworben.
Klatt 1995,438–451.
Klatt 1995, 445–446 Abb. 125–126.
Mein besonderer Dank geht an Kathy Leacock, Leiterin der Anthropologischen Abteilung des Buffalo Museum
of Science, und Dr. Anke Treutlein für die Deutschkorrektur.
Drei antiKe Bronzen in Buffalo
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