13. JAHRGANG · 2019 · HEFT 1
NACHRICHTENBLATT DER DEUTSCHEN LIMESKOMMISSION
Der römische Kettenpanzer · Die römischen
Kalkbrennereien in Bad Münstereifel-Iversheim ·
Archäologische Geschichten aus Entenhausen ·
Der Limes in Noricum · Hofheim III – ein neu entdecktes Marschlager bei Hofheim am Taunus ·
Das neue Limesmuseum Aalen
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INHALT/ IMPRESSUM
Der Limes 13/2019 Heft 1
INHALT
Kettengeflecht, das während des Abbruchs des Kastells Künzing in
Bayern etwa 242–244 n. Chr. in den Boden gelangte. Das Fragment
war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verwendbar und zum Recycling
vorgesehen, weshalb es rechteckig zugeschnitten worden war.
DER RÖMISCHE KETTENPANZER
Seite 04
DIE RÖMISCHEN KALKBRENNEREIEN
IN BAD MÜNSTEREIFEL-IVERSHEIM
Seite 10
ARCHÄOLOGISCHE GESCHICHTEN
AUS ENTENHAUSEN
Seite 16
DER LIMES IN NORICUM
Seite 20
HOFHEIM III – EIN NEU ENTDECKTES
RÖMISCHES MARSCHLAGER
BEI HOFHEIM AM TAUNUS
Seite 26
DAS NEUE LIMESMUSEUM AALEN
Seite 32
BUCHTIPPS
Seite 38
Herausgeber:
Deutsche Limeskommission, Römerkastell Saalburg, 61350 Bad Homburg
ViSdP: Geschäftsführerin Dr. Suzana Matešić,
www.deutsche-limeskommission.de
Redaktion: Karen Schmitt, Stuttgart, www.lexis-lektorat.de
Gestaltung: Christian Hölzl, Nina Hardwig,
HUND B. communication, München, www.hundb.com
Druck: Gotteswinter und Aumaier GmbH, München, www.gotteswinter.de
© 2019 by Deutsche Limeskommission
ISSN 1864-9246
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Deutschen Limeskommission unzulässig.
Titel: Foto M. A. Wijnhoven – 4: Foto A. Kyrychenko. – 5: Fotos V. Verschoor. – 6, 7, 8 li, 9: Fotos/Zeichnung M. A. Wijnhoven. – 8 re: Foto W. Dijkmann. – 10: L. Berger, LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland (ABR) auf Grundlage von Geobasis NRW. – 11: M. Thuns, LVR-ABR. – 12 o, 13 u: Rheinisches Landesmuseum Bonn. – 12 u, 13 o li: L. Berger, LVR-ABR. – 13 o re: nach W. Sölter,
Eine römische Kalkmalerei. Bild der Wissenschaft 9/7, Sept. 1970. – 14: nach Clauss 1976 Taf. 6,3. – 15 o: L. Berger, nach Sölter 1970, 17 Abb. 4. – 15 u: nach „Der Kalk-Kreislauf“, Bundesverband
der Deutschen Kalkindustrie e. V., Köln (https://www.kalk.de/service/publikationen/allgemeine-publikationen/) und E. Deschler-Erb, Kalkbrennerei/La chaufournerie. In: H. Amrein u. a. (Hrsg.),
Das römerzeitliche Handwerk in der Schweiz. Bestandsaufnahme und erste Synthesen [dt./frz.]. Monographies instrumentum 40 (Montagnac 2012) 82 Abb. 2.48. – 16–19: © Egmont Ehapa
Media/Disney Enterprises, Inc. – 20 u: Danube Limes – UNESCO World Heritage Project/Institut für Österreichische Geschichtsforschung. – 20 o: dito/Ergänzungen R. Ployer. – 21 u: Bundesministerium für Bauten und Technik. – 21 o, 22, 24 o, 24 u re, 25: Bettina Neubauer-Pregl, Bundesdenkmalamt. – 23 o, 23 Mitte, 24 u li: René Ployer, Bundesdenkmalamt. – 23 u: Christoph Tinzl,
Bundesdenkmalamt. – 26 o: Datengrundlage Hessische Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinformation/Grafik D. Burger-Völlmecke. – 26 u: Katasterplan 2011 Main-Taunus-Kreis/
Grafik D. Burger-Völlmecke nach Ritterling und Nuber. – 28: Foto © GeoBasis-DE/BKG 2017/Geomagnetikbild J. Kalmbach, RGK/Grafik D. Burger-Völlmecke. – 29: Fotos D. Burger-Völlmecke. –
31 o: Fotos A. Scholz. – 31 u: Grafik D. Burger-Völlmecke mit Änderungen nach I. Huld-Zetsche/V. Rupp, Nida. Hauptort der Civitas Taunensium. Archäologischer Plan 1 : 2500 (Frankfurt 1988)
und P. Fasold, Ein Brunnen mit Dendro-Datum aus der domitianischen Okkupationszeit der Wetterau. Saalburg-Jahrbuch 46, 1991, 83–95. – 32, 33 o, 33 Mitte, 34, 35, 37: Fotos Marcus Sies. –
33 u: Limesmuseum Aalen. – 36 o: Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, Manuela Schreiner. – 36 u: picture alliance.
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Die bemalte Grabstele eines
galatischen Soldaten aus Sidon
(Libanon) zeigt eine der frühesten Darstellungen eines Kettenpanzers und stammt aus
dem 2. oder 3. Jh. v. Chr.
Der Panzer ist in Grau wiedergegeben, die metallenen Ringe
sind durch sichelmondförmige
Pinselstriche angedeutet.
FORSCHUNG
Der Limes 13/2019 Heft 1
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Der Limes 13/2019 Heft 1
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700 JAHRE SCHUTZRÜSTUNG AUS RINGGEFLECHT
DER RÖMISCHE KETTENPANZER
Kettenpanzer (lorica hamata/loricae hamatae) bestehen aus Tausenden von miteinander verbundenen Metallringen,
wodurch eine sehr bewegliche Rüstung entsteht, die sich an den Körper des Trägers anpasst, ohne ihn dabei in
seiner Bewegungsfreiheit einzuschränken. Angesichts der zahlreichen Funde solcher Panzer in den Kastellen entlang
des Limes ist offensichtlich, dass sich die römische Armee der vorteilhaften Eigenschaften dieses Ausrüstungsteils
bewusst war.
VON MARTIJN A. WIJNHOVEN
Wie viele andere militärische Ausrüstungsgegenstände, beispielsweise das Kurzschwert (gladius)
und der Militärdolch (pugio), war auch der Kettenpanzer keine römische Erfindung. Während der
letzten 200 Jahre wurden in der Forschung zahlreiche Vorschläge bezüglich seiner Herkunft vorgebracht, die vom Orient bis zu verschiedenen
archäologischen Kulturen Europas reichen. Heute
gehen die meisten Gelehrten berechtigterweise
von einem keltischen Ursprung aus. Die ältesten
Funde aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts
v. Chr. stammen allesamt aus dem Bereich der
Latène-Kultur und verteilen sich mehr oder weniger entlang der Donau. Neben den archäologischen
Nachweisen stammen auch die frühesten bildlichen Darstellungen aus diesem kulturellen Umfeld.
Ebenso bringen bereits die antiken Autoren Varro,
Strabo und Diodor (zur historischen Überlieferung
von Kettenhemden siehe Infokasten S. 9) die Kelten
mit dem Kettenpanzer in Verbindung.
EINFÜHRUNG WÄHREND DER
RÖMISCHEN REPUBLIK
Auch wenn die Römer im Ruf stehen, sich neuer
Militärtechnologie jeweils zeitnah bedient zu haben, schlägt sich dies im Falle der Kettenpanzerung jedoch nicht im archäologischen Befund nieder. Im Gegenteil umfasst die Zahl archäologischer
Nachweise von römischen Kettenhemden aus republikanischer Zeit weniger als eine Handvoll. Dabei besonders hervorzuheben ist das kleinformatige Fragment aus dem sogenannten Grab der
Scipionen in Rom, dessen genaue zeitliche Einordnung zwar unklar ist, das aber wahrscheinlich als
republikanisch anzusprechen ist. Außerdem liegen einige Funde aus dem Gallischen Krieg während der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. in Frankreich vor, die jedoch sowohl von Römern als auch
ihren gallischen Widersachern getragen worden
sein könnten.
Die Seltenheit materieller Überreste dieser Zeit ist
wahrscheinlich jedoch eher den Umständen, wie
diese in den Boden gelangten, geschuldet, denn
dem Umfang, in welchem die Römer Kettenpanzer
verwendeten. Tatsächlich ergänzen bildliche Darstellungen die wenigen archäologischen Funde und
zeigen, dass Kettenhemden bei den Römern sicher
bereits seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. in Gebrauch
waren. Die früheste Wiedergabe in der römischen
Skulptur findet sich auf einem 168 v. Chr. von L.
Aemilius Paullus im griechischen Delphi errichteten Siegesrelief. Es zeigt eine Schlacht zwischen Römern und Makedonen, in der sowohl die römische
Infanterie als auch Angehörige der Kavallerie entsprechende Körperpanzer tragen. Gleichfalls während des 2. Jahrhunderts v. Chr. erwähnt der römischen Geschichtsschreiber Polybios den Kettenpanzer im Rahmen seiner Beschreibung der Ausrüstung
des römischen Soldaten. Er berichtet, dass sich gewöhnliche Soldaten mit einer auf der Brust getragenen Metallplatte begnügen mussten, während diejenigen, deren geschätztes Vermögen 10 000 Drachmen überstieg, ein Kettenhemd trugen.
Der Fries aus Delphi ist aller
Wahrscheinlichkeit nach das
älteste Bildwerk, das einen
Römer im Kettenpanzer zeigt.
Die beiden kleinen seitlichen
Schlitze im Kettenhemd
gewähren die nötige Beinfreiheit
beim Reiten. Sowohl der Reiter
als auch der Infanterist tragen
einen Panzer mit Schulterklappen.
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S-förmige Verschlusshaken
dienten dazu, die Schulterklappen auf der Brust an dem
Kettenpanzer zu befestigen. Die
gezeigten Stücke stammen vom
Kops Plateau, Nijmegen (Niederlande).
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Auf Grundlage der vorliegenden Nachweise kann
die Einführung des Kettenpanzers bei der römischen Armee somit zeitlich in der ersten Hälfte des
2. Jahrhunderts v. Chr. angesetzt werden.
Seine Verwendung war anscheinend zunächst
wohlhabenderen Bürgern vorbehalten, wie
Polybios berichtet, und erst während der späten
Republik wurde er auch in den unteren Rängen der
römischen Armee geläufig.
WEITE VERBREITUNG WÄHREND DER
RÖMISCHEN KAISERZEIT
Aus der römischen Kaiserzeit bzw. der Zeit des
Prinzipats (27 v. Chr. – 284 n. Chr.) liegen dagegen
zahlreiche Funde römischer Kettenpanzer vor.
Eine wichtige Ursache dieses Wandels liegt in der
Produktion und dem Recycling von Kettenhemden
begründet, das während der Republik auf Manufakturen innerhalb italischer Städte beschränkt
war. Aufgrund des fortwährenden Kreislaufs aus
Herstellung, Reparatur und Recycling fand diese
Fundgattung daher nur wenig Niederschlag im archäologischen Befund. Auf Feldzügen beschäftigte
sich das republikanische Heer weder mit der Herstellung noch mit dem Recycling von Rüstungsteilen, sondern ausschließlich mit deren gelegentlich
notwendiger Reparatur.
Dies änderte sich mit der augusteischen Heeresreform und der damit einhergehenden Schaffung eines stehenden Heeres vor allem zur Grenzsicherung. Die vorher meist nur saisonal bzw. zeitlich
befristet operierenden Truppen wurden nun dauerhaft in Militärlagern stationiert, und auch Werkstätten zur Herstellung und Wiederverwertung
von Waffen und militärischen Ausrüstungsteilen
wurden in den Kastellen selbst oder den vorgelagerten vici angelegt. Die Belegungsdauer der festen
Militärlager variierte von wenigen Jahren bis hin
zu Jahrhunderten. Allen gemeinsam war jedoch,
dass bei der endgültigen Niederlegung eines Lagers
häufig Kettenpanzerteile neben anderen Metallobjekten als Funde in den Boden gelangten. Während
des Abrisses wurde nur großformatiges Material
ausgelesen. Kleinere Stücke hingegen wurden zu-
meist zurückgelassen und außer Sichtweite entsorgt (z. B. in Pfostenlöchern, Gräben, Brunnen
etc.), um nicht vom Feind wiederverwendet werden
zu können. Daher sind Funde vollständiger römischer Kettenhemden aus Militärlagern oder vici
äußerst selten und in der Regel sind nur kleinere
Fragmente überliefert.
Die römische Kaiserzeit ist auch die Epoche, aus
der Darstellungen von Kettenpanzern – insbesondere auf den vielen erhaltenen Soldatengrabsteinen des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. – zahlreich
vorhanden sind. Sie helfen uns dabei, eine genauere
Vorstellung von der Konstruktionsweise zu bekommen. Bis zum Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr.
werden die Soldaten mit Kettenpanzern dargestellt, die bis knapp über die Hüfte reichen. Viele
von diesen weisen am unteren Rand seitlich Schlitze auf, die mehr Beinfreiheit gewährten. Das hervorstechendste Merkmal sind jedoch die beiden
Schulterklappen, die vom Rücken aus über die
Schultern bis auf die Brust reichten und dort mittels S-förmiger Verschlusshaken befestigt wurden.
Die Verwendung derartiger Schließen ist im archäologischen Kontext häufig belegt und bis zum
Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. zählen sie zu den
geläufigen Funden in und bei römischen Militärlagern.
Im Verlauf der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts
n. Chr. wird dieser Typ von Kettenhemd mit Schulterklappen durch ein neues Modell abgelöst, dessen Schnitt mehr oder weniger einem modernen TShirt entspricht. In den bildlichen Darstellungen
wird der neue Typ seit dem Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. regelhaft wiedergegeben. Der darüber
hinaus aber vermutlich überzeugendste Hinweis
auf einen Wechsel ist das ab dieser Zeit festzustellende Fehlen von Verschlusshaken im Fundmaterial. Der neue Typ weist einen Schlitz auf der Brust
für die Kopföffnung auf. Zunächst wird er ausschließlich mit kurzen, ab dem 3. Jahrhundert
n. Chr. aber auch mit langen Ärmeln dargestellt.
Während der römischen Kaiserzeit konnte der Kettenpanzer mitunter aufwendig mit Ringen aus
Kupferlegierung verziert sein, die sich von den üb-
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Der Limes 13/2019 Heft 1
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Kettengeflecht, das während
des Abbruchs des Kastells
Künzing in Bayern etwa
242–244 n. Chr. in den Boden
gelangte. Das Fragment war zu
diesem Zeitpunkt nicht mehr
verwendbar und zum Recycling
vorgesehen, weshalb es rechteckig zugeschnitten worden
war.
Dieser Grabstein aus Mainz
(Rheinland-Pfalz) zeigt den
imaginifer Genialis mit einem
unten seitlich geschlitzten
Kettenpanzer. Der Panzer
verfügt über zwei großformatige Schulterklappen, die auf
der Brust durch S-förmige
Verschlusshaken zusammengehalten werden.
Reliefdarstellung eines Soldaten aus dem Mithraeum I
von Stockstadt (Hessen). Er trägt einen T-Shirt-ähnlich
geschnittenen, unten gezackten Kettenpanzer. Links:
derzeitiger Erhaltungszustand; rechts: Nachkoloration
zur Hervorhebung der einzelnen Ausrüstungsgegenstände.
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FORSCHUNG
Der Limes 13/2019 Heft 1
Die Ringe spätrömischer Kettenpanzer sind
bisweilen mit Nieten aus Kupferlegierung
verziert, die dezente Farbakzente im Kettengeflecht setzen. Das hier gezeigte Beispiel
aus Maastricht (Niederlande) stammt aus der
Zeit zwischen 375 und 400 n. Chr.
Reliefdarstellung aus dem
späten 3. oder frühen 4. Jh.
n. Chr. Zwei Soldaten tragen
Helme und große Rundschilde
sowie ein jeweils langärmeliges
Kettenhemd bzw. einen Schuppenpanzer.
rigen, aus Eisen gefertigten Ringen abhoben und so
einen „Gold-auf-Silber“-Effekt erzeugten. Ein gutes
Beispiel hierfür ist aus Bertoldsheim (Bayern) bekannt, das neben einer reliefverzierten Brustschließe ein gänzlich mit horizontalen und vertikalen Linien durchwirktes Kettengeflecht aufweist.
FORTDAUERNDE VERWENDUNG IN
DER SPÄTANTIKE
Im Laufe der Zeit unterlag die Ausrüstung der römischen Soldaten einigen Veränderungen. Während der römischen Kaiserzeit, genauer gesagt gegen Ende des 2. Jahrhunderts, gab es einen solchen
Umschwung und in der Spätantike erneut. Militaria wie z. B. das Kurzschwert oder der gewölbte
Rechteckschild (scutum) waren im 4. Jahrhundert
längst nicht mehr in Gebrauch. Der Kettenpanzer
überdauerte diese Phasen jedoch und wurde weiterhin bei nahezu gleich bleibender Konstruktion
verwendet. Bildliche Darstellungen zeigen wie zuvor einen T-Shirt-artiges Kettenhemd, das nun jedoch bis zu den Knien reicht und dessen Ärmel länger sind.
Realienfunde aus der Zeit des spätrömischen Imperiums sind seltener als aus der frühen Kaiserzeit.
Daraus kann jedoch nicht mit Sicherheit gefolgert
werden, dass Kettenpanzer auch in geringerem
Umfang von den römischen Soldaten genutzt wurden, wie es der im 5. Jahrhundert n. Chr. tätige
Autor Vegetius beschreibt. Auch andere Gründe
könnten hierfür ursächlich sein, wie beispielsweise
Veränderungen in der Produktion. So war die Herstellung von militärischen Ausrüstungsgegenständen in spätrömischer Zeit überwiegend in staatlichen Manufakturen (fabricae) zentralisiert und
fand nicht wie bis dahin üblich lokal in Werkstätten
statt, die in direktem Bezug zu Militärlagern oder
deren Umfeld standen. Dieser Wandel der Herstellungsabläufe dürfte auch Einfluss auf die Überlieferungsbedingungen und die Nachweisbarkeit von
Kettenpanzern im archäologischen Kontext gehabt
haben.
Bei den römischen Kettenhemden wurden zwei
Typen von Ringen verwendet: genietete und massive. Letztere wurden aus Metallblech gestanzt,
während erstere aus Draht bestanden, dessen sich
überlappende Enden durch einen Niet miteinander
verbunden wurden. Während der Spätantike kommen aufwendig mit Ringen aus Kupferlegierung
und Eisen verzierte Kettenhemden außer Gebrauch. Stattdessen sind die einzige Verzierung
nun Niete aus Kupferlegierung, die in dem ansonsten eisernen Kettengeflecht einen dezenten farblichen Akzent setzten.
… UND DARÜBER HINAUS
Der Kettenpanzer war eine überaus erfolgreiche
Schutzwaffe. Er fand nicht nur über einen Zeitraum
von 700 Jahren bei den Römern breite Anwendung,
sondern überdauerte auch das Ende des Weströmischen Reiches. Als Bestandteil der Schutzrüstung
unterlag er zeitgenössischen Veränderungen und
wurde an die sich stetig ändernden Anforderungen
der Kriegführung angepasst, letztlich über Jahrhunderte hinweg.
(Übersetzung: Jens Wegmann)
Martijn A. Wijnhoven
Vrije Universiteit Amsterdam
m.a.wijnhoven@vu.nl
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Der Limes 13/2019 Heft 1
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Der Kettenpanzer aus Bertoldsheim (Bayern) ist von horizontal
und vertikal verlaufenden Reihen von Ringen aus Kupferlegierung durchzogen, die sich von
den eisernen Ringen farblich abheben. Links: Brustplatte zum
Verschließen des Halsausschnittes; Mitte: Rekonstruktionsvorschlag; rechts: derzeitiger Erhaltungszustand.
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ANTIKE SCHRIFTQUELLEN ZUM KETTENPANZER
Varro, De lingua latina 5,24,116
„[…] Lorica, weil sie aus lora [Riemen] aus Rohleder einen Brustschutz herstellten; danach wurde der gallische Brustharnisch
aus Eisen – ein Eisenhemd aus Ringen – unter diesem Namen hinzugefügt.“
URL: https://www.loebclassics.com/view/varro-latin_language/1938/
pb_LCL333.111.xml?result=1&rskey=yUrYOy [Zugriff 21. 3. 2019]
Strabo, Geographica 3,3,6
„Die Lusitanier nun sollen hinterlistig, gewandt im Auskundschaften,
schnell, leicht und behend in militärischen Evolutionen sein. Sie führen einen kleinen, im Durchmesser zwei Fuß haltenden, nach vorn
hohlen Schild, der an Riemen hängt, denn Handhaben und Griffe hat
er nicht; außerdem einen Dolch oder Säbel. Die meisten haben Leinwandpanzer; wenige bedienen sich der Kettenpanzer und dreischweifiger Helme, die übrigen aus Riemen geflochtener Hauben.
[…]“
A. Forbiger, Strabo Geographica2 (Wiesbaden 2007).
Diodor, Griechische Weltgeschichte V,30,3
„[…] Ein Teil der Gallier trägt eiserne Kettenpanzer, andere wieder
begnügen sich mit Waffen, wie sie ihnen die Natur verliehen hat,
und kämpfen darum unbekleidet. An Stelle des Kurzschwertes verwenden sie Langschwerter, die an eisernen oder ehernen Ketten
hängen und an der rechten Hüfte getragen werden. Es gibt auch
einige, die ihr Unterkleid mit gold- oder silberbeschlagenen Gürteln
zusammenraffen.“
O. Veh, Diodoros. Griechische Weltgeschichte Buch I–X. Zweiter Teil.
Bibliothek der griechischen Literatur 35 (Stuttgart 1993).
Polybios, Historien 6,23,14–15
„[14] Die meisten nun nehmen noch weiter eine eherne Platte, die in
der Länge sowohl als in der Breite immerhin eine Spanne hält und
die sie vor der Brust tragen und Herzdecker nennen, und hiermit ist
ihre Ausrüstung vollständig. [15] Diejenigen aber, die im Zensus mit
mehr als 10 000 Drachmen laufen, tragen anstatt des Herzdeckers
neben allen anderen Waffenstücken noch einen Kettenpanzer.“
Polybios, Der Aufstieg Roms. Historien.
Herausgegeben von L. Möller (Wiesbaden 2010).
Vegetius, Epitoma rei militaris I,20
„Welche Art von Schutzwaffen die Alten verwendeten. […] (3) Denn
seit der Gründung der Stadt bis zur Zeit des vergöttlichten Gratian
(375–383) war das Fußheer gesichert durch Schuppenpanzer und
Helme. Aber als die Feldübung durch das Eindringen von Nachlässigkeit und Säumigkeit nachließ, schienen die Waffen allmählich zu
schwer, die die Soldaten nur selten trugen; (4) darum forderten sie
vom Feldherrn anfangs, daß sie die Panzer, dann auch die Metallhelme ablegen durften. Daher kämpften unsere Soldaten mit ungedeckten Leibern und Köpfen gegen die Gothen und wurden oft von
den vielen Pfeilschützen getötet; […].“
F. L. Müller, Publius Flavius Vegetius Renatus.
Abriß des Militärwesens (Stuttgart 1997) 53–57.
LITERATUR
L. Hansen, Die Panzerung
der Kelten. Eine diachrone
und interkulturelle Untersuchung eisenzeitlicher
Rüstung (Kiel 2003).
J. Garbsch, Ein römisches
Paradekettenhemd von Bertoldsheim, Ldkr. NeubergSchrotenhausen. Neuburger
Kollektaneenblatt 136, 1984,
239–253.
S. Matešić, Das Thorsberger
Moor 3. Die militärischen
Ausrüstungen. Vergleichende Untersuchungen zur
römischen und germanischen Bewaffnung (Schleswig 2015).
M. A. Wijnhoven, Filling in
the gaps. Conservation and
Reconstruction of Archaeological Mail Armour. Journal
of Conservation and
Museum Studies 13, 2015,
1–15.