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13. JAHRGANG · 2019 · HEFT 1 NACHRICHTENBLATT DER DEUTSCHEN LIMESKOMMISSION Der römische Kettenpanzer · Die römischen Kalkbrennereien in Bad Münstereifel-Iversheim · Archäologische Geschichten aus Entenhausen · Der Limes in Noricum · Hofheim III – ein neu entdecktes Marschlager bei Hofheim am Taunus · Das neue Limesmuseum Aalen SEITE 02 INHALT/ IMPRESSUM Der Limes 13/2019 Heft 1 INHALT Kettengeflecht, das während des Abbruchs des Kastells Künzing in Bayern etwa 242–244 n. Chr. in den Boden gelangte. Das Fragment war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verwendbar und zum Recycling vorgesehen, weshalb es rechteckig zugeschnitten worden war. DER RÖMISCHE KETTENPANZER Seite 04 DIE RÖMISCHEN KALKBRENNEREIEN IN BAD MÜNSTEREIFEL-IVERSHEIM Seite 10 ARCHÄOLOGISCHE GESCHICHTEN AUS ENTENHAUSEN Seite 16 DER LIMES IN NORICUM Seite 20 HOFHEIM III – EIN NEU ENTDECKTES RÖMISCHES MARSCHLAGER BEI HOFHEIM AM TAUNUS Seite 26 DAS NEUE LIMESMUSEUM AALEN Seite 32 BUCHTIPPS Seite 38 Herausgeber: Deutsche Limeskommission, Römerkastell Saalburg, 61350 Bad Homburg ViSdP: Geschäftsführerin Dr. Suzana Matešić, www.deutsche-limeskommission.de Redaktion: Karen Schmitt, Stuttgart, www.lexis-lektorat.de Gestaltung: Christian Hölzl, Nina Hardwig, HUND B. communication, München, www.hundb.com Druck: Gotteswinter und Aumaier GmbH, München, www.gotteswinter.de © 2019 by Deutsche Limeskommission ISSN 1864-9246 Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Deutschen Limeskommission unzulässig. Titel: Foto M. A. Wijnhoven – 4: Foto A. Kyrychenko. – 5: Fotos V. Verschoor. – 6, 7, 8 li, 9: Fotos/Zeichnung M. A. Wijnhoven. – 8 re: Foto W. Dijkmann. – 10: L. Berger, LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland (ABR) auf Grundlage von Geobasis NRW. – 11: M. Thuns, LVR-ABR. – 12 o, 13 u: Rheinisches Landesmuseum Bonn. – 12 u, 13 o li: L. Berger, LVR-ABR. – 13 o re: nach W. Sölter, Eine römische Kalkmalerei. Bild der Wissenschaft 9/7, Sept. 1970. – 14: nach Clauss 1976 Taf. 6,3. – 15 o: L. Berger, nach Sölter 1970, 17 Abb. 4. – 15 u: nach „Der Kalk-Kreislauf“, Bundesverband der Deutschen Kalkindustrie e. V., Köln (https://www.kalk.de/service/publikationen/allgemeine-publikationen/) und E. Deschler-Erb, Kalkbrennerei/La chaufournerie. In: H. Amrein u. a. (Hrsg.), Das römerzeitliche Handwerk in der Schweiz. Bestandsaufnahme und erste Synthesen [dt./frz.]. Monographies instrumentum 40 (Montagnac 2012) 82 Abb. 2.48. – 16–19: © Egmont Ehapa Media/Disney Enterprises, Inc. – 20 u: Danube Limes – UNESCO World Heritage Project/Institut für Österreichische Geschichtsforschung. – 20 o: dito/Ergänzungen R. Ployer. – 21 u: Bundesministerium für Bauten und Technik. – 21 o, 22, 24 o, 24 u re, 25: Bettina Neubauer-Pregl, Bundesdenkmalamt. – 23 o, 23 Mitte, 24 u li: René Ployer, Bundesdenkmalamt. – 23 u: Christoph Tinzl, Bundesdenkmalamt. – 26 o: Datengrundlage Hessische Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinformation/Grafik D. Burger-Völlmecke. – 26 u: Katasterplan 2011 Main-Taunus-Kreis/ Grafik D. Burger-Völlmecke nach Ritterling und Nuber. – 28: Foto © GeoBasis-DE/BKG 2017/Geomagnetikbild J. Kalmbach, RGK/Grafik D. Burger-Völlmecke. – 29: Fotos D. Burger-Völlmecke. – 31 o: Fotos A. Scholz. – 31 u: Grafik D. Burger-Völlmecke mit Änderungen nach I. Huld-Zetsche/V. Rupp, Nida. Hauptort der Civitas Taunensium. Archäologischer Plan 1 : 2500 (Frankfurt 1988) und P. Fasold, Ein Brunnen mit Dendro-Datum aus der domitianischen Okkupationszeit der Wetterau. Saalburg-Jahrbuch 46, 1991, 83–95. – 32, 33 o, 33 Mitte, 34, 35, 37: Fotos Marcus Sies. – 33 u: Limesmuseum Aalen. – 36 o: Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, Manuela Schreiner. – 36 u: picture alliance. SEITE 04 Die bemalte Grabstele eines galatischen Soldaten aus Sidon (Libanon) zeigt eine der frühesten Darstellungen eines Kettenpanzers und stammt aus dem 2. oder 3. Jh. v. Chr. Der Panzer ist in Grau wiedergegeben, die metallenen Ringe sind durch sichelmondförmige Pinselstriche angedeutet. FORSCHUNG Der Limes 13/2019 Heft 1 SEITE Der Limes 13/2019 Heft 1 05 700 JAHRE SCHUTZRÜSTUNG AUS RINGGEFLECHT DER RÖMISCHE KETTENPANZER Kettenpanzer (lorica hamata/loricae hamatae) bestehen aus Tausenden von miteinander verbundenen Metallringen, wodurch eine sehr bewegliche Rüstung entsteht, die sich an den Körper des Trägers anpasst, ohne ihn dabei in seiner Bewegungsfreiheit einzuschränken. Angesichts der zahlreichen Funde solcher Panzer in den Kastellen entlang des Limes ist offensichtlich, dass sich die römische Armee der vorteilhaften Eigenschaften dieses Ausrüstungsteils bewusst war. VON MARTIJN A. WIJNHOVEN Wie viele andere militärische Ausrüstungsgegenstände, beispielsweise das Kurzschwert (gladius) und der Militärdolch (pugio), war auch der Kettenpanzer keine römische Erfindung. Während der letzten 200 Jahre wurden in der Forschung zahlreiche Vorschläge bezüglich seiner Herkunft vorgebracht, die vom Orient bis zu verschiedenen archäologischen Kulturen Europas reichen. Heute gehen die meisten Gelehrten berechtigterweise von einem keltischen Ursprung aus. Die ältesten Funde aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. stammen allesamt aus dem Bereich der Latène-Kultur und verteilen sich mehr oder weniger entlang der Donau. Neben den archäologischen Nachweisen stammen auch die frühesten bildlichen Darstellungen aus diesem kulturellen Umfeld. Ebenso bringen bereits die antiken Autoren Varro, Strabo und Diodor (zur historischen Überlieferung von Kettenhemden siehe Infokasten S. 9) die Kelten mit dem Kettenpanzer in Verbindung. EINFÜHRUNG WÄHREND DER RÖMISCHEN REPUBLIK Auch wenn die Römer im Ruf stehen, sich neuer Militärtechnologie jeweils zeitnah bedient zu haben, schlägt sich dies im Falle der Kettenpanzerung jedoch nicht im archäologischen Befund nieder. Im Gegenteil umfasst die Zahl archäologischer Nachweise von römischen Kettenhemden aus republikanischer Zeit weniger als eine Handvoll. Dabei besonders hervorzuheben ist das kleinformatige Fragment aus dem sogenannten Grab der Scipionen in Rom, dessen genaue zeitliche Einordnung zwar unklar ist, das aber wahrscheinlich als republikanisch anzusprechen ist. Außerdem liegen einige Funde aus dem Gallischen Krieg während der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. in Frankreich vor, die jedoch sowohl von Römern als auch ihren gallischen Widersachern getragen worden sein könnten. Die Seltenheit materieller Überreste dieser Zeit ist wahrscheinlich jedoch eher den Umständen, wie diese in den Boden gelangten, geschuldet, denn dem Umfang, in welchem die Römer Kettenpanzer verwendeten. Tatsächlich ergänzen bildliche Darstellungen die wenigen archäologischen Funde und zeigen, dass Kettenhemden bei den Römern sicher bereits seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. in Gebrauch waren. Die früheste Wiedergabe in der römischen Skulptur findet sich auf einem 168 v. Chr. von L. Aemilius Paullus im griechischen Delphi errichteten Siegesrelief. Es zeigt eine Schlacht zwischen Römern und Makedonen, in der sowohl die römische Infanterie als auch Angehörige der Kavallerie entsprechende Körperpanzer tragen. Gleichfalls während des 2. Jahrhunderts v. Chr. erwähnt der römischen Geschichtsschreiber Polybios den Kettenpanzer im Rahmen seiner Beschreibung der Ausrüstung des römischen Soldaten. Er berichtet, dass sich gewöhnliche Soldaten mit einer auf der Brust getragenen Metallplatte begnügen mussten, während diejenigen, deren geschätztes Vermögen 10 000 Drachmen überstieg, ein Kettenhemd trugen. Der Fries aus Delphi ist aller Wahrscheinlichkeit nach das älteste Bildwerk, das einen Römer im Kettenpanzer zeigt. Die beiden kleinen seitlichen Schlitze im Kettenhemd gewähren die nötige Beinfreiheit beim Reiten. Sowohl der Reiter als auch der Infanterist tragen einen Panzer mit Schulterklappen. SEITE 06 0 S-förmige Verschlusshaken dienten dazu, die Schulterklappen auf der Brust an dem Kettenpanzer zu befestigen. Die gezeigten Stücke stammen vom Kops Plateau, Nijmegen (Niederlande). FORSCHUNG Der Limes 13/2019 Heft 1 5 cm Auf Grundlage der vorliegenden Nachweise kann die Einführung des Kettenpanzers bei der römischen Armee somit zeitlich in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. angesetzt werden. Seine Verwendung war anscheinend zunächst wohlhabenderen Bürgern vorbehalten, wie Polybios berichtet, und erst während der späten Republik wurde er auch in den unteren Rängen der römischen Armee geläufig. WEITE VERBREITUNG WÄHREND DER RÖMISCHEN KAISERZEIT Aus der römischen Kaiserzeit bzw. der Zeit des Prinzipats (27 v. Chr. – 284 n. Chr.) liegen dagegen zahlreiche Funde römischer Kettenpanzer vor. Eine wichtige Ursache dieses Wandels liegt in der Produktion und dem Recycling von Kettenhemden begründet, das während der Republik auf Manufakturen innerhalb italischer Städte beschränkt war. Aufgrund des fortwährenden Kreislaufs aus Herstellung, Reparatur und Recycling fand diese Fundgattung daher nur wenig Niederschlag im archäologischen Befund. Auf Feldzügen beschäftigte sich das republikanische Heer weder mit der Herstellung noch mit dem Recycling von Rüstungsteilen, sondern ausschließlich mit deren gelegentlich notwendiger Reparatur. Dies änderte sich mit der augusteischen Heeresreform und der damit einhergehenden Schaffung eines stehenden Heeres vor allem zur Grenzsicherung. Die vorher meist nur saisonal bzw. zeitlich befristet operierenden Truppen wurden nun dauerhaft in Militärlagern stationiert, und auch Werkstätten zur Herstellung und Wiederverwertung von Waffen und militärischen Ausrüstungsteilen wurden in den Kastellen selbst oder den vorgelagerten vici angelegt. Die Belegungsdauer der festen Militärlager variierte von wenigen Jahren bis hin zu Jahrhunderten. Allen gemeinsam war jedoch, dass bei der endgültigen Niederlegung eines Lagers häufig Kettenpanzerteile neben anderen Metallobjekten als Funde in den Boden gelangten. Während des Abrisses wurde nur großformatiges Material ausgelesen. Kleinere Stücke hingegen wurden zu- meist zurückgelassen und außer Sichtweite entsorgt (z. B. in Pfostenlöchern, Gräben, Brunnen etc.), um nicht vom Feind wiederverwendet werden zu können. Daher sind Funde vollständiger römischer Kettenhemden aus Militärlagern oder vici äußerst selten und in der Regel sind nur kleinere Fragmente überliefert. Die römische Kaiserzeit ist auch die Epoche, aus der Darstellungen von Kettenpanzern – insbesondere auf den vielen erhaltenen Soldatengrabsteinen des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. – zahlreich vorhanden sind. Sie helfen uns dabei, eine genauere Vorstellung von der Konstruktionsweise zu bekommen. Bis zum Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. werden die Soldaten mit Kettenpanzern dargestellt, die bis knapp über die Hüfte reichen. Viele von diesen weisen am unteren Rand seitlich Schlitze auf, die mehr Beinfreiheit gewährten. Das hervorstechendste Merkmal sind jedoch die beiden Schulterklappen, die vom Rücken aus über die Schultern bis auf die Brust reichten und dort mittels S-förmiger Verschlusshaken befestigt wurden. Die Verwendung derartiger Schließen ist im archäologischen Kontext häufig belegt und bis zum Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. zählen sie zu den geläufigen Funden in und bei römischen Militärlagern. Im Verlauf der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. wird dieser Typ von Kettenhemd mit Schulterklappen durch ein neues Modell abgelöst, dessen Schnitt mehr oder weniger einem modernen TShirt entspricht. In den bildlichen Darstellungen wird der neue Typ seit dem Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. regelhaft wiedergegeben. Der darüber hinaus aber vermutlich überzeugendste Hinweis auf einen Wechsel ist das ab dieser Zeit festzustellende Fehlen von Verschlusshaken im Fundmaterial. Der neue Typ weist einen Schlitz auf der Brust für die Kopföffnung auf. Zunächst wird er ausschließlich mit kurzen, ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. aber auch mit langen Ärmeln dargestellt. Während der römischen Kaiserzeit konnte der Kettenpanzer mitunter aufwendig mit Ringen aus Kupferlegierung verziert sein, die sich von den üb- SEITE Der Limes 13/2019 Heft 1 07  Kettengeflecht, das während des Abbruchs des Kastells Künzing in Bayern etwa 242–244 n. Chr. in den Boden gelangte. Das Fragment war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verwendbar und zum Recycling vorgesehen, weshalb es rechteckig zugeschnitten worden war. Dieser Grabstein aus Mainz (Rheinland-Pfalz) zeigt den imaginifer Genialis mit einem unten seitlich geschlitzten Kettenpanzer. Der Panzer verfügt über zwei großformatige Schulterklappen, die auf der Brust durch S-förmige Verschlusshaken zusammengehalten werden.  Reliefdarstellung eines Soldaten aus dem Mithraeum I von Stockstadt (Hessen). Er trägt einen T-Shirt-ähnlich geschnittenen, unten gezackten Kettenpanzer. Links: derzeitiger Erhaltungszustand; rechts: Nachkoloration zur Hervorhebung der einzelnen Ausrüstungsgegenstände.  SEITE 08 FORSCHUNG Der Limes 13/2019 Heft 1 Die Ringe spätrömischer Kettenpanzer sind bisweilen mit Nieten aus Kupferlegierung verziert, die dezente Farbakzente im Kettengeflecht setzen. Das hier gezeigte Beispiel aus Maastricht (Niederlande) stammt aus der Zeit zwischen 375 und 400 n. Chr. Reliefdarstellung aus dem späten 3. oder frühen 4. Jh. n. Chr. Zwei Soldaten tragen Helme und große Rundschilde sowie ein jeweils langärmeliges Kettenhemd bzw. einen Schuppenpanzer. rigen, aus Eisen gefertigten Ringen abhoben und so einen „Gold-auf-Silber“-Effekt erzeugten. Ein gutes Beispiel hierfür ist aus Bertoldsheim (Bayern) bekannt, das neben einer reliefverzierten Brustschließe ein gänzlich mit horizontalen und vertikalen Linien durchwirktes Kettengeflecht aufweist. FORTDAUERNDE VERWENDUNG IN DER SPÄTANTIKE Im Laufe der Zeit unterlag die Ausrüstung der römischen Soldaten einigen Veränderungen. Während der römischen Kaiserzeit, genauer gesagt gegen Ende des 2. Jahrhunderts, gab es einen solchen Umschwung und in der Spätantike erneut. Militaria wie z. B. das Kurzschwert oder der gewölbte Rechteckschild (scutum) waren im 4. Jahrhundert längst nicht mehr in Gebrauch. Der Kettenpanzer überdauerte diese Phasen jedoch und wurde weiterhin bei nahezu gleich bleibender Konstruktion verwendet. Bildliche Darstellungen zeigen wie zuvor einen T-Shirt-artiges Kettenhemd, das nun jedoch bis zu den Knien reicht und dessen Ärmel länger sind. Realienfunde aus der Zeit des spätrömischen Imperiums sind seltener als aus der frühen Kaiserzeit. Daraus kann jedoch nicht mit Sicherheit gefolgert werden, dass Kettenpanzer auch in geringerem Umfang von den römischen Soldaten genutzt wurden, wie es der im 5. Jahrhundert n. Chr. tätige Autor Vegetius beschreibt. Auch andere Gründe könnten hierfür ursächlich sein, wie beispielsweise Veränderungen in der Produktion. So war die Herstellung von militärischen Ausrüstungsgegenständen in spätrömischer Zeit überwiegend in staatlichen Manufakturen (fabricae) zentralisiert und fand nicht wie bis dahin üblich lokal in Werkstätten statt, die in direktem Bezug zu Militärlagern oder deren Umfeld standen. Dieser Wandel der Herstellungsabläufe dürfte auch Einfluss auf die Überlieferungsbedingungen und die Nachweisbarkeit von Kettenpanzern im archäologischen Kontext gehabt haben. Bei den römischen Kettenhemden wurden zwei Typen von Ringen verwendet: genietete und massive. Letztere wurden aus Metallblech gestanzt, während erstere aus Draht bestanden, dessen sich überlappende Enden durch einen Niet miteinander verbunden wurden. Während der Spätantike kommen aufwendig mit Ringen aus Kupferlegierung und Eisen verzierte Kettenhemden außer Gebrauch. Stattdessen sind die einzige Verzierung nun Niete aus Kupferlegierung, die in dem ansonsten eisernen Kettengeflecht einen dezenten farblichen Akzent setzten. … UND DARÜBER HINAUS Der Kettenpanzer war eine überaus erfolgreiche Schutzwaffe. Er fand nicht nur über einen Zeitraum von 700 Jahren bei den Römern breite Anwendung, sondern überdauerte auch das Ende des Weströmischen Reiches. Als Bestandteil der Schutzrüstung unterlag er zeitgenössischen Veränderungen und wurde an die sich stetig ändernden Anforderungen der Kriegführung angepasst, letztlich über Jahrhunderte hinweg. (Übersetzung: Jens Wegmann) Martijn A. Wijnhoven Vrije Universiteit Amsterdam m.a.wijnhoven@vu.nl SEITE Der Limes 13/2019 Heft 1 09 Der Kettenpanzer aus Bertoldsheim (Bayern) ist von horizontal und vertikal verlaufenden Reihen von Ringen aus Kupferlegierung durchzogen, die sich von den eisernen Ringen farblich abheben. Links: Brustplatte zum Verschließen des Halsausschnittes; Mitte: Rekonstruktionsvorschlag; rechts: derzeitiger Erhaltungszustand. 0 5 cm 0 10 cm ANTIKE SCHRIFTQUELLEN ZUM KETTENPANZER Varro, De lingua latina 5,24,116 „[…] Lorica, weil sie aus lora [Riemen] aus Rohleder einen Brustschutz herstellten; danach wurde der gallische Brustharnisch aus Eisen – ein Eisenhemd aus Ringen – unter diesem Namen hinzugefügt.“ URL: https://www.loebclassics.com/view/varro-latin_language/1938/ pb_LCL333.111.xml?result=1&rskey=yUrYOy [Zugriff 21. 3. 2019] Strabo, Geographica 3,3,6 „Die Lusitanier nun sollen hinterlistig, gewandt im Auskundschaften, schnell, leicht und behend in militärischen Evolutionen sein. Sie führen einen kleinen, im Durchmesser zwei Fuß haltenden, nach vorn hohlen Schild, der an Riemen hängt, denn Handhaben und Griffe hat er nicht; außerdem einen Dolch oder Säbel. Die meisten haben Leinwandpanzer; wenige bedienen sich der Kettenpanzer und dreischweifiger Helme, die übrigen aus Riemen geflochtener Hauben. […]“ A. Forbiger, Strabo Geographica2 (Wiesbaden 2007). Diodor, Griechische Weltgeschichte V,30,3 „[…] Ein Teil der Gallier trägt eiserne Kettenpanzer, andere wieder begnügen sich mit Waffen, wie sie ihnen die Natur verliehen hat, und kämpfen darum unbekleidet. An Stelle des Kurzschwertes verwenden sie Langschwerter, die an eisernen oder ehernen Ketten hängen und an der rechten Hüfte getragen werden. Es gibt auch einige, die ihr Unterkleid mit gold- oder silberbeschlagenen Gürteln zusammenraffen.“ O. Veh, Diodoros. Griechische Weltgeschichte Buch I–X. Zweiter Teil. Bibliothek der griechischen Literatur 35 (Stuttgart 1993). Polybios, Historien 6,23,14–15 „[14] Die meisten nun nehmen noch weiter eine eherne Platte, die in der Länge sowohl als in der Breite immerhin eine Spanne hält und die sie vor der Brust tragen und Herzdecker nennen, und hiermit ist ihre Ausrüstung vollständig. [15] Diejenigen aber, die im Zensus mit mehr als 10 000 Drachmen laufen, tragen anstatt des Herzdeckers neben allen anderen Waffenstücken noch einen Kettenpanzer.“ Polybios, Der Aufstieg Roms. Historien. Herausgegeben von L. Möller (Wiesbaden 2010). Vegetius, Epitoma rei militaris I,20 „Welche Art von Schutzwaffen die Alten verwendeten. […] (3) Denn seit der Gründung der Stadt bis zur Zeit des vergöttlichten Gratian (375–383) war das Fußheer gesichert durch Schuppenpanzer und Helme. Aber als die Feldübung durch das Eindringen von Nachlässigkeit und Säumigkeit nachließ, schienen die Waffen allmählich zu schwer, die die Soldaten nur selten trugen; (4) darum forderten sie vom Feldherrn anfangs, daß sie die Panzer, dann auch die Metallhelme ablegen durften. Daher kämpften unsere Soldaten mit ungedeckten Leibern und Köpfen gegen die Gothen und wurden oft von den vielen Pfeilschützen getötet; […].“ F. L. Müller, Publius Flavius Vegetius Renatus. Abriß des Militärwesens (Stuttgart 1997) 53–57. LITERATUR L. Hansen, Die Panzerung der Kelten. Eine diachrone und interkulturelle Untersuchung eisenzeitlicher Rüstung (Kiel 2003). J. Garbsch, Ein römisches Paradekettenhemd von Bertoldsheim, Ldkr. NeubergSchrotenhausen. Neuburger Kollektaneenblatt 136, 1984, 239–253. S. Matešić, Das Thorsberger Moor 3. Die militärischen Ausrüstungen. Vergleichende Untersuchungen zur römischen und germanischen Bewaffnung (Schleswig 2015). M. A. Wijnhoven, Filling in the gaps. Conservation and Reconstruction of Archaeological Mail Armour. Journal of Conservation and Museum Studies 13, 2015, 1–15.