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Mannheimer Geschichtsblätter remmagazin 19/2010 rem-Wissenschaft John Peter Wild Klassenunterschiede in einem römischen Kastell: das Zeugnis der Textilreste und Dokumente aus Vindolanda In der Forschung zum römischen Militär ist unter und Textilien aufgelistet (Bowman, Thomas 1983; Althistorikern und Archäologen die Frage nach 1994; 2003; Bowman 2003) (Abb. 1). Rang und Status stets von zentraler Bedeutung. Seit Dazu kamen in denselben feuchten Schichten über einem Jahrhundert ist die Pionierarbeit von Überreste der Gewänder selbst zu Tage, die von den Alfred von Domaszewski, „Die Rangordnung des Garnisonsmitgliedern getragen worden sind (Wild römischen Heeres“ aus dem Jahr 1908, ein unent- 1977; 1993; Wild, Walton Rogers 2007). Eine solche behrliches Nachschlagwerk. Fundsituation ist in den römischen Westprovinzen Wie kann man also den Begriff Rangordnung in einmalig. Bezug auf archäologische Textilreste verstehen? Auf den Tintenblättern taucht der Name des Um die verschiedenen Möglichkeiten zu veran- Präfekten Flavius Cerealis, Befehlshaber der in den schaulichen, möchte ich als Beispiel die Funde vom Jahren 101 bis 104 n. Chr. im Lager stationierten römischen Auxiliarkastell Vindolanda vorführen. neunten Bataverkohorte, öfter auf (A.R. Birley Das Kastell Vindolanda liegt in der Nähe der 2002, S. 125-135). Als Präfekt einer Doppelkohorte Hadriansmauer in Nordengland, wurde aber schon (und Angehöriger des ordo equester) hat Cerealis um 85 n. Chr. gegründet, also fast dreißig Jahre vor 36.000 Sestertii im Jahr verdient – fast vierzigmal Hadrians Besuch in eigener Person in der Provinz so viel wie die unter ihm dienenden Mannschafts- Britannia und seinem Befehl, eine Mauer zu errich- mitglieder (Holder 1982, S.144; Speidel 1992, S. 92, ten (R.E. Birley 2009). Zweck der Gründung von Abb. 1 Vindolanda. Tintenblatt Nr. 596 In den letzten vier Zeilen sind vela, Vorhänge, mit ihren Preisen erwähnt. Foto: Vindolanda Trust Vindolanda war es, eine etwas frühere Grenzlinie, das Stanegate, die einige Kilometer südlich der späteren Mauer verläuft, zu verteidigen. Bei den neueren Ausgrabungen in Vindolanda hat man vier Perioden von aus Holz konstruierten Bauten aus vorhadrianischer Zeit identifiziert (A.R. Birley 2009, S. 267; R.E. Birley 2009, S. 41-112). Bei jeder neuen Garnisonsverlegung wurde nämlich die befestigte Anlage etwas weiter ausgebaut, dabei konnte man es schließlich nicht mehr vermeiden, ein nahe gelegenes, teilweise sumpfiges Gelände 103; A.R. Birley 2002, S. 46). Cerealis wohnte mit ins Kastellareal mit einzubeziehen. Um sich vor der seiner Frau Sulpicia Lepidina, seinen Kindern und ständigen Bodenfeuchtigkeit in diesem Gebiet zu seinen Haussklaven im Praetorium, dem Hauptge- schützen, haben die Truppen dicke, hauptsächlich bäude des Kastells, einem vornehmen Peristylhaus aus organischen Materialien bestehende Abfall- im mediterranen Stil. Der gewöhnliche Infanterist und Strohschichten teppichartig auf den Boden dagegen teilte ein paar sehr enge Zimmer in einer gelegt. Die dabei entstandenen Strata blieben an- Mannschaftsbaracke mit fünf bis sieben Kollegen aerobisch, was die Erhaltung sonst leicht vergäng- (contubernales) (A.R. Birley 2002, S.46). licher Funde besonders begünstigte. Unter diesen Im Wohnquartier des Präfekten und seiner Fami- Funden befanden sich viele pflanzliche Reste, auch lienmitglieder hat man eine erstaunlich große Textilfragmente und hölzerne Beschreibstoffe. Letz- Menge Abfall unter die Füsse fallen lassen, der tere waren meistens sehr dünne Holzblätter, auf gleich in den feuchten Boden getreten wurde: denen man mit Tinte schreiben konnte: Auf den Schreibtafelbruchstücke, Tintenblätter, Stofffetzen entdeckten Dokumenten sind allerlei Kleiderwaren aus Wolle und eine Reihe ähnlichen organischen 97 rem-Wissenschaft remmagazin 19/2010 Mannheimer Geschichtsblätter Klassenunterschiede in einem römischen Kastell Abb. 2 (links) Vindolanda. Textilfragment Nr. T545 mit gammaförmigem Motiv Foto: J. P. Wild Abb. 3 (rechts) Vindolanda. Textilfragment Nr. 545 in Umrissen Zeichnung: J. P. Wild 98 Materials. Aus seinem Abfall erfahren wir vieles Auf den Tintenblättern sind udones, Beinkleider, über den Lebensstil des Cerealis. erwähnt (Bowman, Thomas 1994, S. 335-336, Nr. Wir wissen zum Beispiel, dass er oft mit seinem 346). Solche Gewänder dürften beim Militär im All- Kollegen Aelius Brocchus, dem Präfekten eines tag selbstverständlich in Gebrauch gewesen sein: Nachbarkastells, auf die Jagd ging. Er schrieb näm- Doch ein Blick auf die aus Neumagen im Moseltal lich an Brocchus und äußerte die Bitte, er solle ihm stammenden Grabdenkmäler zeigt, dass man dort Jagdnetze zuschicken, aber auch darauf achten, udones auch bei der Jagd regelmäßig trug (Wild dass sie schon vollends repariert seien (Bowman, 1968, S. 184-185, dort Abb. 11,1). In Vindolanda wäre so Thomas 1994, S. 206-208, Nr. 233). Cerealis besaß ein Beinkleid wahrscheinlich aus einem schweren auch selbst Netze, die zum Fangen von Dros- Wollköper oder sogar aus Filz gefertigt gewesen. seln, Enten und Fischen benutzt wurden, ebenso Für Cerealis und Lepidina war es gute Sitte – wie Fangvorrichtungen für Schwäne (Bowman, Tho- auch in kolonialen Kreisen späterer Jahrhunderte – mas 2003, S. 47-48, Nr. 593). Als Jagdbeute beson- Personen von gleich hohem sozialen Stand zu fest- ders hochgeschätzt war das Wildschwein. In der lichen Banketten nach Vindolanda einzuladen (A.R. Berglandschaft unweit von Vindolanda stellte ein Birley 2002, S. 128-135). anderer, ebenfalls die Jagd liebender Kommandant Dort wurden auf dem eigenen Anwesen gezüch- einen Altar auf, aus Freude und zum Dank, dass er tete Hähnchen und Gänse zusammen mit Ferkeln einen aprum eximiae formae, ein Wildschwein von und Schinken serviert, nach einer erfolgreichen herausragender Schönheit, gefangen hatte (Col- Jagd kam manchmal noch Rehbraten hinzu. Die lingwood, Wright 1965, Nr. 1041). Küche von Lepidina war, so erfahren wir aus den Unter den Textilfunden von Vindolanda gibt es Dokumenten, die im Praetorium entdeckt wurden, nur ein einziges sehr kleines Netzfragment. Die mit Gemüse, Kräutern und Gewürzen (z.B. Pfeffer meisten Netze waren wahrscheinlich aus pflanz- aus Indien) reichlich versorgt. Zugegeben, Cerea- lichen Fasern hergestellt. Weil sich solche Fasern lis Bankette sind nicht mit dem Gastmahl des Tri- in den mit Huminsäuren durchtränkten Abfall- malchio zu vergleichen. Sie boten aber erheblich schichten in Vindolanda kaum erhalten haben, sind Besseres als Brot, Brei und gekochtes Rind- oder sie unter den Funden nicht zu erwarten. Schaffleisch, wie es der Mannschaft zur Verfügung Mannheimer Geschichtsblätter remmagazin 19/2010 rem-Wissenschaft John Peter Wild stand. Eins aber hatten alle Einwohner des Kastells ursprünglich vielleicht purpurne, Farbe auf (Wild gemeinsam: Sie brauten und tranken Bier. 1993, S. 79-80). Die Wirkarbeit des Gammas ist aber Bei Gastmählern war es wichtig, sich festlich so nachlässig und fehlerhaft ausgeführt, dass man anzuziehen. Es existiert ein leider nur fragmenta- den Mantel kaum für ein exotisches Importgut aus risch erhaltenes Verzeichnis der in Cerealis Klei- einem fernen Teil des Reiches halten darf! derkiste aufbewahrten Kleidungsstücke: Darunter Eine besonders schwere Herausforderung für gab es eine synthesis, einen Satz formeller, für Fest- den Präfekten und seine Familie stellte das Bestre- mahlzeiten bestimmter Einzelgewänder, Tuniken ben dar, den Schein eines ihrer gesellschaftlichen für das Speisezimmer, dazu auch laenae, etwas alt- Position entsprechenden Lebensstils aufrechtzu- modische Mäntel, und paenulae, Kapuzenmäntel erhalten. Dabei spielte ihre Kleidung eine wichtige (Bowman, Thomas 1994, S. 166-170, Nr. 196). Rolle. Unsere Aufgabe ist es, die uns zur Verfügung Spiegelt sich diese feierliche, im Kleiderwort- stehenden Quellen im Zusammenhang miteinan- schatz nachgewiesene Atmosphäre auch in den der zu studieren, so dass wir die Vorlieben und erhaltenen Textilresten? Auf diese Frage gibt es zur Gedankengänge von Cerealis und Lepidina in ihrer Zeit keine befriedigende Antwort. Im Abfall unter textilen Umwelt besser verstehen können. dem Boden von Lepidinas Küche befanden sich zwei zusammengenähte Stofffragmente, die von einem leichten, in feiner Halbpanamabindung gewebten Danksagung: Mantel stammen: Der Mantel war mit einem gam- Besonderer Dank gilt Frau Dr. Ursula Rothe, die mir maförmigen Motiv (Abb. 2 und 3) in jeder Ecke manche sprachliche Verbesserung des Textes vor- gemustert, es weist heute eine dunkelbraune, aber geschlagen hat. Literatur Birley 2002: A.R. Birley: Garrison Life at Vindolanda: A Band of Brothers, Stroud 2002 Birley 2009: A.R. Birley: Some writing tablets excavated at Vindolanda in 2001, 2002 and 2003, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 170, 2009, S. 265-293 Birley R.E. 2009: Vindolanda: A Roman Frontier Fort on Hadrian’s Wall, Stroud 2009 Bowman 2003: A.K. Bowman: Life and Letters on the Roman Frontier: Vindolanda and its People, London 2003 Bowman, Thomas 1983: A. K. Bowman, J. D. Thomas: Vindolanda, the Roman Writing Tablets, Britannia Monograph 4, London 1983 Bowman, Thomas 1994: A. K. Bowman, J. D. Thomas: The Vindolanda Writing Tablets (Tabulae Vindolandenses II), London 1994 Bowman, Thomas 2003: A. K. Bowman, J. D. Thomas: The Vindolanda Writing Tablets (Tabulae Vindolandenses III), London 2003 Collingwood, Wright 1965: R. G. Collingwood, R. P. Wright: Roman Inscriptions of Britain I, Oxford 1965 von Domaszewski 1908: A. von Domaszewski: Die Rangordnung des römischen Heeres, Bonn 1908 Holder 1982: P. A. Holder: The Roman Army in Britain, London 1982 Speidel 1992: M. A. Speidel: Roman army pay scales, in: Journal of Roman Studies 82, 1992, S. 87-106 Wild 1968: J. P. Wild: Clothing in the north-west provinces of the Roman Empire, in: Bonner Jahrbücher 168, 1968, S. 166-240 Wild 1977: J. P. Wild: The Textiles from Vindolanda 1973-1975, Vindolanda III, Bardon Mill 1977 Wild 1993: J. P. Wild: Vindolanda 1985-1988: the textiles, in: C. van Driel-Murray, J.P. Wild, M. Seaward, J. Hillam: Vindolanda Research Reports NS III: The Early Wooden Forts: Preliminary Reports on the Leather, Textiles, Environmental Evidence and Dendrochronology, Bardon Mill 1993, S. 76-90 Wild, Walton Rogers 2007: J. P. Wild, P. Walton Rogers: A knotted-pile mat from the Roman fort at Vindolanda near Hadrian’s Wall, in: A. RastEicher, R. Windler (Hrsg.): NESAT IX: Archäologische Textilfunde – Archaeological Textiles: Braunwald, 18.-21. Mai 2005, Glarus 2007, S. 71-78 99